Am Mittwoch, dem 12.01.2022, wurde in der Turmstraße in Aachen ein Mann von der Polizei angeschossen. Laut Polizei habe dieser ein Messer bei sich getragen, welches er auf Aufforderung nicht fallen ließ. Dies nahmen die anwesenden Beamt:innen zum Anlass, gleich zwei mal auf ihn zu schießen. Laut Polizei-Pressemeldung sah “die zuständige Staatsanwaltschaft Aachen nach eingehender Prüfung des Sachverhaltes kein Fehlverhalten der beteiligten Polizeibeamten.” Dies wurde nach nur wenigen Stunden gemeldet. Besonders eingehend scheint also – wie üblich bei Gewaltanwendung durch Polizist:innen – nicht geprüft worden zu sein.
Die lokalen Medien übernahmen in ihrer Berichterstattung traditionsgemäß fast wörtlich die Pressemitteilung der Polizei, ohne diese kritisch einzuordnen. Dabei gibt es Vieles, was zu hinterfragen wäre:
Warum wurde gleich zwei mal auf die Person geschossen und warum auf die Brust? Warum wurde nicht zunächst ein Warnschuss abgegeben? Von einer an der Waffe ausgebildeten Person darf man annehmen, dass bei jedem Schuss auf die Brust der Tod des betroffenen Menschens billigend in Kauf genommen wird.
Wurde, bevor auf die Person geschossen wurde, versucht, die Situation zu deeskalieren? War die „randalierende“ Person in einem psychischen Ausnahmezustand und wenn ja, haben die Polizist:innen dies erkannt und angemessen reagiert? Ausführliche Recherchen in den letzten Jahren, z. B. der taz, haben gezeigt dass Polizeibeamt:innen im Umgang mit psychisch kranken Menschen viel zu oft zur Waffe greifen. Etwa die Hälfte der Menschen, die in den letzten Jahren durch Polizeischüsse starben, war in einer akuten psychischen Ausnahmesituation, die sich mutmaßlicherweise auch anders auflösen lassenkönnen.
Die verletzte Person wird von Polizei und Presse als „Randalierer“ betitelt. Abgesehen davon, dass das ein stark polarisierender und emotionalisierender Begriff ist, der wenig über das eigentliche Geschehen aussagt: Nach Gründen für das Verhalten wird nicht gefragt. In den Veröffentlichungen wird lediglich von lautem und eventuell beängstigendem Auftreten in einem Treppenhaus berichtet. Die Message ist eindeutig: Wer randaliert, was auch immer das heißt, muss damit rechnen, von der Polizei erschossen zu werden. Zu recht?
War die Bedrohung wirklich so akut? Zahlreiche Erfahrungen zeigen, wie schnell Polizist:innen sich eine „Notwehr“-Situation zusammenkonstruieren, um im Nachhinein ihre Gewaltanwendung zu rechtfertigen. Diese Erzählung wird dann von Kolleg:innen und Staatsanwaltschaft eins zu eins übernommen. Eine Formulierung wie dass der Mann auf die Polizist:innen „zugegangen“ sei, ist dafür geradezu typisch. Unverfänglich, kann irgendwie als bedrohlich ausgelegt werden, ist schwer zu widerlegen. Praktisch also. Aber hätten die Beamt:innen nicht zunächst zurückweichen können und weiter versuchen, die Situation zu deeskalieren?
Das Auf-Die-Polizist:innen-Zugehen wird aber in der Pressemeldung nicht einmal direkt als Grund für die Abgabe der Schüsse angegeben, sondern, dass der Mann trotz mehrfacher Aufforderung das Messer nicht niederlegte. Kein Angriff war also Auslöser für die Schüsse, sondern ein Nicht-Handeln, ein Nicht-Befolgen von Befehlen?
Gegen den Angeschossenen wird nun wegen Widerstands gegen Polizeibeamte ermittelt.
Wir haben keine Antwort auf diese ganzen Fragen. Aber es bleibt wichtig, sie zu stellen. Damit den Bullen nicht die Definitionsmacht darüber, was richtig und falsch ist, überlassen bleibt. Damit wir Schritt für Schritt das Machtmonopol der Polizei zum Bröckeln bringen.
Wir wünschen der angeschossenen Person eine gute Besserung und alles Gute für den Prozess.
Zeug:innen können sich gern bei uns melden und ihre Wahrnehmung des Geschehens schildern.