Wir sind heute hier um den Menschen zu gedenken, die bei dem rassistischen Anschlag in Hanau vor genau einem Jahr ermordet wurden. Die Morde machen uns wütend und traurig!
Wir zeigen hier unsere Anteilnahme und solidarisieren uns mit den Überlebenden des Anschlags, den Familien und Freund*innen der Opfer. Wir unterstützen ihre Forderungen nach umfassender Aufklärung, Konsequenzen, Erinnerung und Gerechtigkeit!
Die Initiative 19. Februar sagt erinnern heißt verändern und dass Schluss damit sein muss, dass Rechte sich in unserer Gesellschaft sicher fühlen und gleichzeitig antifaschistische und antirassistische Arbeit kriminalisiert wird. Dem schließen wir uns an.
An einem Gedenktag wie heute, finden wir es auch wichtig darüber zu sprechen, wie sich rechte Anschläge und Gewalttaten in Zukunft verhindern lassen. Dafür ist es wichtig zu wissen, wer die Täter sind und wie sie sich organisieren, denn überall da wo es Nazis gibt, besteht auch eine Gefahr für von Rassismus und Antisemitismus betroffene Menschen und Andersdenkende. Deswegen versuchen wir in diesem Redebeitrag die Nazi Strukturen in Aachen und dem Umland, sowie ihre Aktivitäten zu umreißen.
In Aachen gibt es eine lange Geschichte rechter Gewalt, die bis heute aber glücklicherweise noch kein Leben gefordert hat.
Aus einem Stammtisch bei der Stolberger Familie Nahrath gründete sich im Jahr 2002 die „Kameradschaft Aachener Land“. Die Familie ist über Generationen hinweg tief in der NS Szene verankert und pflegt auch Kontakte zu Reichsbürgern und Querdenker*innen, sowohl lokal als auch überregional. Die Kameradschaft galt zuerst als versoffener Haufen und war bemüht über gewalttätige Straßenpräsenz und Agitation eine Vormachtstellung im Aachener Umland zu erlangen. Ab 2008 verjüngte sich die Struktur deutlich und es kam vermehrt zu Angriffen auf politische Gegner*innen im Aachener Stadtgebiet.
Neben lebensgefährlichen Angriffen auf Antifas und Besucher*innen des Autonomen Zentrums, wurde unter anderem eine Bombenattrappe vor dem AZ abgelegt und zwei KAL-Mitglieder versuchten eine Nagelbombe auf einer linken Demo in Berlin anzubringen. Nach dem Aufliegen des NSU 2011, erschien eine Grußbotschaft an die Mörder*innen auf der KAL-Webseite. Im August 2012 wurde die „KAL“ zusammen mit dem „Nationalen Widerstand Dortmund“ und der „Kameradschaft Hamm“ vom NRW-Innenministerium verboten.
Die verbotenen Kameradschaften führten ihre Aktivitäten gemeinsam unter dem Deckmantel der Partei „Die Rechte“ fort, im Aachener Raum vor allem unter dem Label „Syndikat 52“. Die Aktivist*innen blieben überall nahezu dieselben. Nur die offiziellen Positionen wurden sorgsam mit unbelasteten Personen besetzt. Auch die Aktivitäten von „S52“ sind quasi deckungsgleich mit denen der „KAL“. Sie besuchen regelmäßig Nazi-Demonstrationen in der BRD, veranstalten extrem rechte Konzerte, sogenannte Heldengedenken und interne Bildungsveranstaltungen oder Freizeit-Events.
Im „Syndikat 52“ sind Mitglieder aus Aachen, Düren und Heinsberg organisiert. In allen Aktivitätsregionen des Syndikats treten weiterhin die alten Kader in Erscheinung. Besonders Rene Laube und die Familie Malcoci sind wichtige Teile der regionalen Neonazi Szene.
Im Aachener Umland scheint die Gruppe zwischen 15 und 20 Mitglieder stark zu sein. Es kommt immer wieder zu NS-Schmierereien, Angriffen auf politische Gegner*innen oder Schändungen auf dem jüdischen Friedhof in Gangelt. Widerstand gegen das Treiben der Nazis gibt es in Orten wie Heinsberg, Düren, Niederzier oder Jülich nur spärlich.
Nach einer längeren Ruhepause in Aachen machte eine Gruppe gewaltbereiter Jugendlicher auf sich aufmerksam. Timm Malcoci trat hier als eine Art Mentor auf. Sie beteiligten sich an der Reisegruppe des „S52“ zu Demonstrationen und lauerten mehrfach Besucher*innen des Autonomen Zentrums oder vermeintlichen Linken auf. Oftmals wurden bei den Attacken Messer eingesetzt. Nur weil sich die Betroffenen bis jetzt immer verteidigen oder fliehen konnten, wurde noch niemand ernsthaft verletzt.
Inzwischen sind viele ehemalige KAL Mitglieder von der Bildfläche verschwunden. Das klingt zunächst nach einem Erfolg, doch uns bereitet dieser Umstand große Sorgen. Wir denken nicht, dass vormalige Mitglieder einer so militanten Kameradschaft aufgrund eines Verbotes ihre Neonazi-Ideologie ablegen und in eine bürgerliche Existenz flüchten. Die rassistisch und antisemitisch motivierten Anschläge in Halle und Hanau, sowie der Mord an Walter Lübcke zeigen, dass vor allem von solchen, angeblich „abgekühlten“ Neonazis eine erhebliche Gefahr ausgeht.
Neonazis, ihre Ideologie und Strukturen lassen sich nicht vom Staat verbieten. Sie gründen eine neue Partei, Organisation oder gehen in den Untergrund, wie der NSU. Ein antifaschistischer und antirassistischer Kampf muss umfassend sein und wir alle tragen die Verantwortung dafür. Erfolgreich können wir darin nur sein, wenn wir organisierte Nazis mit radikalen Mitteln bekämpfen, wenn wir uns rechten Parteien, ihren Organen und Medien in den Weg stellen. Wenn wir auf Rhetorik stoßen, die rassistische Denkmuster schürt und rechten Gewaltfantasien den Weg bereitet, müssen wir wachsam reagieren. Rassismus, der unter humoristischem Deckmantel verbreitet wird, müssen wir entlarven. Genauso wie die strukturell rassistische Gewalt von Behörden, Justiz und Polizei.
Der Staat und die Exekutive sind dabei nicht Freund und Helfer. Rechte Rhetorik und Hetze findet sich im Parlament und den Ministerien. Die Mörder vom NSU wurden vom Verfassungsschutz finanziert. Neonazis setzen sich bei Polizei und Bundeswehr ins gemachte Nest.
Rassismus ist in der gesamten Gesellschaft verbreitet, es kann sich um Alltagsrassismus handeln oder ein Ideologiefragment sein. Bei dem Anschlag in Hanau diente er als Mordmotiv. Rassismus muss schon auf den unteren Ebenen unserer Gesellschaft bekämpft werden, in den Betrieben und Klassenzimmern, auf der Straße und in unseren Vierteln.
An dieser Stelle möchten wir die Initiative 19. Februar zitieren:
„Betroffenheit und Lippenbekenntnisse reichen nicht, es ist Zeit für konkrete Konsequenzen.“
Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass es diese Konsequenzen gibt und dass die Namen der Opfer nícht in Vergessenheit geraten, denn Ferhat Unvar sagte: „Tot sind wir erst wenn man uns vergisst.“
Solidarität mit allen Betroffenen rechter Gewalt und den Freund*innen und Familien der Ermordeten in Hanau!