Demo und Mahnwache in Aachen nach dem Anschlag in Hanau

Nach dem rassistischen Terroranschlag in Hanau kamen am 20.02.20 c.a. 200 Menschen zu einer Mahnwache gegen rechten Terror am Elisenbrunnen zusammen. Am 21.02.20 folgten rund 600 Leute dem Aufruf der linksjugend [’solid] zu einer Demonstration vom Elisenbrunnen durch die Innenstadt zum Kennedypark. Nach einer Schweigeminute für die Opfer des Anschlags in Hanau gab es Redebeiträge von Sol, der linksjugend, der Linken, der islamischem Moschee-Gemeinde und dem Kurdischen Volkshaus Aachen. Unseren Redebeitrag wollen wir hier nochmal dokumentieren:

Seit dem Anschlag in Halle sind nun vier Monate vergangen, aus den Schlagzeilen sind die Toten dieses Tages schon wieder verschwunden, doch in unseren Köpfen bleiben sie.


In der Nacht vom 19. auf den 20. Februar wurden es mehr. Es war wohl nur eine Frage der Zeit bis so etwas wieder passieren würde. In Hanau, in einem Viertel, in dem viele Menschen einen Migrationshintergrund haben, erschoss Tobias R. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag Insgesamt 10 Menschen aus rassistischem Hass. 6 Weitere wurden teils schwer verletzt. Zuerst schoss er in einer Shisha-Bar um sich und anschließend vor einem Kiosk. Zuletzt brachte er seine Mutter und danach sich selbst um. In seinem Bekennerschreiben und -video sprach er davon, dass bestimmte „Volksgruppen“ kein Recht hätten zu leben. Seine Aussagen spiegeln eine zutiefst rassistische Gesinnung wieder, die dazu führte das unschuldige Menschen, die er meinte als Ausländer erkannt zu haben, von ihm ermordet wurden.
Kurz nach der Ermordung ergab sich in den sozialen Medien ein Strom an Kommentaren, deren Verfasser*innen meinten den Anschlag schon einordnen zu können. Der Hass entlud sich ungehemmt.
Sie sprachen von kriminellen Clans, die sich gegenseitig bekriegen und unschuldige Passant*innen in ihre Angelegenheiten mit reinziehen würden. Am nächsten Morgen, als mehr Infos an die Öffentlichkeit gelangt waren, drehte sich das Bild um 180 Grad.
Der Täter war ein Deutscher, ein Rassist, der Unschuldige wegen ihrer Herkunft und ihrer Hautfarbe ermordete.
In der Berichterstattung liest man häufig, das ein Großteil der Schuld bei der AfD liege, doch die Schuld tragen wir alle. Wir alle sind verantwortlich dafür, dass Rassismus und Antisemitismus in unserer Gesellschaft immer noch tief verankert sind und oftmals ohne negative Konsequenzen geäußert werden können. Dieser bildet die Basis dafür, dass die AfD in allen Landesparlamenten vertreten ist und immer mehr Raum in der Öffentlichkeit mit rechtsextremer Hetze besetzen kann. Sie (der Rassismus, der Antisemitismus) sind der Wegbereiter für die AfD. Die AfD selbst vertieft nur die bereits vorhandene Kerbe in unserer Gesellschaft und gibt Nazis wie Tobias R., den Mördern von Walter Lübcke oder dem Attentäter von Halle den Aufwind, den sie brauchten, um ihre Gesinnung und Gewaltfantasien auszuleben.
Rassismus muss schon auf den unteren Ebenen unserer Gesellschaft bekämpft werden, in den Betrieben und Klassenzimmern, auf der Straße und in unseren Vierteln. Genauso wie die strukturell rassistische Gewalt von Behörden, Justiz und Polizei bekämpft werden muss. Erinnern wir uns hier zum Beispiel an Amad A., der in einem Gefängnis in Kleve, unschuldig eingesperrt, verbrannte.
Für diesen antirassistischen und antifaschistischen Kampf tragen wir alle eine Verantwortung.
Die Morde in Hanau machen uns wütend und traurig, doch überraschen tun sie uns nicht, denn rechter Terror ist in Deutschland nichts Neues.
Auch in Aachen gibt es eine lange Geschichte rechter Gewalt, die weitergeht und sich aktuell wieder zuspitzt. Wir wollen euch an dieser Stelle eine Chronik der rechten Aktivitäten in und um Aachen vorstellen und einen Einblick in die rechte Szene vor Ort geben.
Seit mittlerweile anderthalb Jahren kommt es, nach einer längeren Ruhepause vor allem nach dem Verbot der „Kameradschaft Aachener Land“ 2012, wieder vermehrt zu Angriffs- und Einschüchterungsversuchen von Neonazis im Aachener Stadtgebiet. So lauerten Nazis mehrfach Besucher*innen des AZ auf, verfolgten sie und bedrohten sie mit einem Messer.
Die Aktionen gehen von einer Gruppe junger Nazis um die Schüler N. S., Marcel N. Und K. H. aus. Sie gehören zum Nachwuchs der Neonaziorganisation “Syndikat 52”. Dabei handelt es sich de facto um die Nachfolgeorganisation der verbotenen “Kameradschaft Aachener Land”.
Zu ihren Aktivitäten gehören neben gemeinsamen Demonstrationsbesuchen, neonazistischem Heldengedenken und ideologischen “Bildungsvorträgen” auch gemeinschaftliche Freizeitbeschäftigungen, wie Bootsausflüge, und selbstorganisierte Ballermannpartys oder eben Angriffe auf Migrant*innen und politische Gegner*innen.
Unter anderem über die Parteistrukturen von “Die Rechte” ist das Syndikat gut vernetzt. Mitglieder reisten letztes Jahr zu Naziaufmärschen in der ganzen Bundesrepublik: Bspw. nach Bielefeld zu Ehren der inhaftierten Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck, nach Kassel zu einer Demonstrationen von Die Rechte nach dem Mord an Walter Lübcke, nach Duisburg zum 1. Mai oder nach Remagen zu einer jährlich stattfindenden Nazi-Demo.
Auch mit der europäischen extremen Rechten gibt es gute Verbindungen: So reisten Nazis aus Aachen und Umgebung in den letzten zwei Jahren bereits zum dritten Mal zu faschistischen Veranstaltungen in Sofia, Bulgarien.
Im Syndikat 52 sind Mitglieder aus Aachen, Düren und Heinsberg organisiert. Auffällig hierbei sind die personellen Kontinuitäten seit dem Verbot der KAL: So treten in allen Aktivitätsregionen des Syndikats weiterhin die alten Kader in Erscheinung: In Erkelenz – Gerwin J., in Düren der ehem. Kameradschaftsführer Rene L. und in Aachen Tim M..
Tim M. Und der S52-Nachwuchs kennen sich gut. Auch wenn er sich aus den Angriffsversuchen raus zu halten scheint, sind sie zusammen auf Veranstaltungen von „Die Rechte“ oder trainieren gemeinsam Kampfsport.
Allein dieses Jahr versuchten die Nazis um Marcel N., N. S. Und K. H. Mindestens vier Mal vermeintlichen Linken oder Besucher*innen des AZs aufzulauern. Außerdem kam es immer wieder zu rechten Schmierereien und kleinen Sachbeschädigungen am AZ und dem Aachener Infoladen. Sowohl N. S. Als auch K. H. Setzten dabei mehrfach ein Messer ein, auch Pfefferspray und diverse Schlagstöcke gehören zu ihrem Waffenarsenal. Auch wenn bisher niemand ernsthaft zu Schaden gekommen ist, nehmen sie es, aufgrund ihrer menschenverachtenden Ideologie, mindestens in Kauf Personen tödlich zu verletzen. Wenn es nicht sogar ihre erklärte Absicht ist.
Doch schon seit 2017 beobachten wir vermehrt Aktivitäten von Nazis des “Syndikat 52” und der “Identitären Bewegung” in Aachen und speziell im Frankenberger Viertel. Das Frankenberger gilt den Faschos dabei als (ZITAT)”Rückzugsort für Antifas und Sozialparasiten”, diese würden dort „harmlose Patrioten“ bedrohen. Mit „harmlosen Patrioten“ sind hier dann die genannten bewaffneten Neonazis gemeint.
Das ist einem auf ihrer Facebookseite veröffentlichten Video zu entnehmen. Dort dokumentieren sie, unterlegt mit dramatischen Hip-Hop-Beats, wie sie heldenhaft Sticker aufkleben und Flyer in Briefkästen stecken.
Das Auftreten von Neonazis im Viertel ist immer eine Gefahr für Leute, die nicht in ihr menschenverachtendes Weltbild passen. Wird ihre Präsenz einfach ignoriert, gibt man ihnen Raum für Hetze und Gewalt. Dass sich Nazis nicht einfach verbieten lassen und dem „Rechtsstaat“ bzw. der Polizei generell kein Vertrauen entgegen zu bringen ist, zeigt sich nicht zuletzt bei den Enthüllungen rund um den „NSU“. Wo Verfassungsschutz und Polizei systematisch Unterlagen über die Ermittlungen vernichteten, die Aktivitäten der Terroristen mindestens verschwiegen, wenn nicht aktiv unterstützten und finanzierten. Oder bei dem Netzwerk von ehemaligen und aktiven Kommando-Soldaten, Polizisten und Nazis, die sich zwecks eines Putsches mit Waffen, Munition, Sprengstoff und Leichensäcken versorgten, mit dem klaren Ziel Antifaschist*innen und Linke zu ermorden. Und das das Vertrauen, dass diese Institutionen so vehement einfordern, unberechtigt ist zeigt sich wieder im Verfahren um die, dieses Jahr verbotene, Terrororganisation „Combat 18“. Das Verbotsverfahren folgte erst über ein Jahr nachdem Mitglieder Waffen und Munition über die Grenze nach Deutschland brachten und nach mehreren Hausdurchsuchungen bei Führungsperson Thorsten Heise, Mitglied im NPD-Bundesvorstand, bei denen auch wieder Waffen, unter anderem eine Uzi, gefunden wurden. Zur Vorbereitung auf weitere Hausdurchsuchungen ließ man den Nazis mehrere Monate Zeit. Angestoßen wurden die Ermittlungen nicht etwa vom Verfassungsschutz oder der Polizei, sondern von mehreren Berichterstattungen nach einer antifaschistischen Recherche über die Gruppierung.
Rechter Terror, ob durch organisierte Gruppen oder sogenannte „lonely wolves“ à la Anders Breivik, sind kein neues Phänomen. Obwohl dieses Bild schnell entsteht, lauscht man dem pseudo- antifaschistischen und pseudo-antirassistischen Geschwulst von Seehofer und Konsorten. Seit der Wiedervereinigung berichten linke und antifaschistische Gruppen über sich häufende Gewalt und Anschläge von Nazis, bewaffneten Strukturen und einer steigenden europaweiten Vernetzung. Die ausbleibenden Gegenreaktionen auf die rassistischen Ausschreitungen in den 90ern seitens der Politik befeuerte rassistische Ressentiments und eine Radikalisierung nach rechts. Dies ermöglichte es den Nazis sich zu bewaffnen, zu vernetzen und Strukturen wie den NSU aufzubauen. Mit diesen Grundlagen betreiben sie nun eine Strategie der Destabilisierung mit der Motivation das System zu stürzen und die Macht zu übernehmen. Begonnen mit der Asylrechtsverschärfung, oder sagen wir lieber Abschaffung, Anfang der 90er, über Asylpakete 1 und 2, gießen liberale Parteien die rassistischen Forderungen von AfD, PEGIDA und NPD in Gesetzesform. Dabei bringen sie kein Statement gegen rechts über die Lippen, ohne die menschenverachtende Gewalt von Links gegen Autos, Fensterscheiben und prügelnde Polizist*innen zu betonen. So werden rechte Gewalttäter und Terroristen immer wieder zu verwirrten Einzeltätern erklärt und verharmlost, und Rassismus und Antisemitismus als Tatmotive nicht ausreichend beleuchtet. So waren es wieder antifaschistische Recherchen die den Attentäter von München 2016 als Nazi enttarnten, und die Verbindungen der Mörder von Walter Lübcke und des Attentäters von Henriette Reker in die rechtsextreme Szene offenlegten.
Die einzige Antwort der liberalen Parteien bleibt ein weiteres Aufrüsten des rassistischen Polizeistaates und ihr Appell an die bürgerliche Mitte gegen den „Extremismus“ zusammenzustehen.
Wir finden Rassismus, ob von Nazis und Faschisten, der Polizei oder der Regierung ist zu bekämpfen!
Solidarität mit allen Betroffenen rechter Gewalt und den Freund*innen und Familien der Ermordeten in Hanau!
Organisieren wir den antifaschistischen Selbstschutz, alle zusammen gegen den Faschismus!