Dieser Text wurde als Redebeitrag auf der „Entnazifizierung jetzt! – Extrem rechte Netzwerke in der Aachener Polizei aufdecken!-Demo am 11. Juli in Aachen gehalten:
Kommando Spezialkräfte (KSK)
Mitte März diesen Jahres wurde erneut das private Waffenversteck eines Bundeswehr-Soldaten von der Polizei ausgehoben. Ein Sturmgewehr, Plastiksprengstoff und mehrere tausend Schuss Munition wurden entdeckt, nebst nicht näher definierten NS-Devotionalien. Nachdem zusätzlich der Brandbrief eines Hauptmanns aus dem KSK, der über extrem rechte Umtriebe und eine Systematik der Vertuschung informiert, die Verteidigungsministerin erreichte, wurde von ihr eine Arbeitsgruppe zur Aufklärung der Vorfälle eingesetzt. Das Ergebnis: Über 20 mutmaßlich extrem rechte Soldat*innen beim KSK? Ein ungesundes Eliteverständnis von Führungskräften? Ein viel zu lascher Umgang mit Munition?
Jetzt soll die gesamte Einheit reformiert werden. Eine von insgesamt vier Kompanien wurde ersatzlos aufgelöst. Scheinbar harte Bandagen im Kampf gegen Nazis bei der Bundeswehr.
„Nordkreuz“
Aber der Aufschrei kommt spät. Schon 2017 flog eine Gruppe in Mecklenburg-Vorpommern auf. Sie vernetzte sich in einer Telegram-Chatgruppe mit dem Namen „Nordkreuz“. Hier bereiteten sie sich auf den Tag-X vor. Jede vorstellbare Krise, von Naturkatastrophe über Pandemieausbruch bis hin zu einem erneuten Anstieg der Geflüchtetenzahlen ähnlich wie 2015, wollen sie dazu nutzen, um in Deutschland eine Art Putschversuch zu starten. Es werden Treffpunkte ausgemacht und Notfall-Verstecke angelegt. Es wird darüber diskutiert, wie man hoheitliche Privilegien, zum Beispiel das Tragen einer Uniform, dazu benutzen kann, etwaige Gefangene durch Checkpoints zu schmuggeln. Die Kaserne in Calw, in der ausschließlich das KSK stationiert ist, wird als mögliches Hauptquartier gehandelt. Sie sind vorbereitet, das beweisen die Funde bei insgesamt acht Hausdurchsuchungen. An die 100.000 Schuss Munition, Granaten, Sprengstoff, Leichensäcke, Löschkalk und eine Liste mit tausenden Namen von Antifa-Aktivist*innen bis zu FDP-Politiker*innen. In den Chats wird deutlich, sie verfolgen mit ihren Plänen eine Strategie, die in ähnlicher Art auch vom NSU oder den sogenannten „Lonely Wolves“, wie die Attentäter von Christchurch oder Halle, verwendet wurde. Durch das Zuspitzen von gesellschaftlichen Konflikten oder False-Flag-Aktionen soll ein sogenannter „Rassenkrieg“ ausgelöst werden, in dem die „weiße Rasse“ ihre Vorherrschaft zurück erlangt. Die Chats sind gespickt mit rassistischer Hetze, vor allem gegen Geflüchtete, und Sympathiebekundungen zum Nationalsozialismus. Die Gruppe besteht aus ungefähr 70 Mitgliedern. Unter ihnen ein Anwalt, aktive oder Ex-Soldaten und Polizisten. Neben der Gruppe Nord werden von dem damaligen KSK-Unteroffizier Andre S. mehrere Chatgruppen mit vergleichbaren Inhalten unterhalten. Auch deren Administratoren waren oder sind beim KSK.
„Uniter“
Auffällig ist, dass Andre S. 2012 zusammen mit einem damaligen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Baden-Württemberg den Verein „Uniter“ gründete. Angeblich zur Unterstützung von ehemaligen Angehörigen von Spezialkräften. Die sogenannten Distrikte des Vereins decken sich exakt mit den Namen der Chatgruppen. Auffällig ist auch, dass, vor allem in der Chatgruppe Süd, viele Mitglieder dem Verein „Uniter“ angehören. Vier dieser Mitglieder, auch der ehemalige Verfassungsschützer, waren übrigens in der gleichen Einheit des Stuttgarter BFE wie die vom NSU ermordete Polizistin, Michele Kiesewetter. Ein Fakt, der auch nicht zu weiteren Ermittlungen geführt hat, genau wie die zusätzliche Mitgliedschaft zweier weiterer Polizisten der Einheit im deutschen Ableger des Ku-Klux-Klan .
„Uniter“ betreibt Trainings für Zivilisten, bei denen sie in Taktiken für den Kommandokampf unterrichtet werden. Außerdem werden Schulungen für Sicherheitskräfte autoritärer Regimes wie auf den Phillipinen durchgeführt. Wohlgemerkt ohne offiziellen Auftrag.
Das alles wirkt wie die legale Parallelstruktur zu den sogenannten „Prepper-Chats“. Mehr als Mutmaßungen lassen sich dazu leider nicht anstellen. Die Erkenntnisse stammen fast ausschließlich aus investigativen Recherchen der taz und des SWR. Die Enthüllungen zu der Gruppe Nordkreuz wurden noch in bundesweiten Leitmedien geteilt, die Hintergrundrecherchen und Erkenntnisse zum Verein „Uniter“ nur noch am Rande erwähnt. Zu einer umfassenden Berichterstattung kommt es erst wieder seit den am Anfang genannten Vorfällen – allerdings ohne Bezug zu den Informationen zu „Uniter“ oder „Nordkreuz“.
Die Konsequenzen
Die polizeilichen Ermittlungen sind spärlich. Ermittelt wird nur noch gegen die zwei Nordkreuz-Mitglieder, bei denen die Namensliste gefunden wurde, wegen Vorbereitung einer staatsgefährdenden Straftat.
Marco G., Ex-KSK-Soldat und Ausbilder beim SEK in Mecklenburg-Vorpommern, wurde zu einer 18-monatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Er lagerte die Waffen und Munitionsbestände der Gruppe. Seine politische Motivation, die sich mit Chatprotokollen belegen lässt, wurde im Verfahren außen vor gelassen.
Andre S. wurde aus dem KSK entlassen und darf keine Uniform mehr tragen. Für die Munition und Waffen, die bei ihm gefunden wurden, musste er eine Geldstrafe von 1.800 Euro entrichten. Gegen diese ist er in Berufung gegangen. Vor der Hausdurchsuchung gewarnt wurde er übrigens von einem bekannten Mitarbeiter des militärischen Abschirmdienstes. Dieser ist inzwischen vom Dienst suspendiert.
Das führt uns zur dritten laufenden Ermittlung, vor dem Aufschrei im März. Der gleiche MAD-Mitarbeiter ist verantwortlich für den Fall des Soldaten Franco A. Dieser besorgte sich 2016 einen Aufenthaltstitel als syrischer Geflüchteter und plante, wohl mit zwei weiteren Männern, unter diesem Pseudonym Anschläge zu begehen. Er wurde verhaftet, als er eine deponierte Waffe am Wiener-Flughafen abholen wollte. Inzwischen ist er wieder auf freiem Fuß. Ach ja, Franco A. pflegte übrigens nachweislich Kontakte zu Andre S., war Mitglied in der Chatgruppe Süd und nahm an einem Treffen des Distriktes Süd von „Uniter“ teil.
Weitere Ermittlungen, ob gegen andere Chatgruppen außer Nordkreuz oder gegen „Uniter“, sind nicht bekannt. Der Verfassungsschutz sträubt sich gegen eine Beobachtung des Vereins, da es keine ausreichenden Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen gäbe. Der MAD wundert sich über einen sprunghaften Anstieg der Verdachtsfälle im Bereich Rechtsextremismus in den letzten zwei Jahren. Komisch, nachdem man einen Komplex, den im KSK, nach jahrelangen Hinweisen und unabhängigen Recherchen endlich etwas genauer unter die Lupe nahm.
Dass die Umtriebe im KSK in die Öffentlichkeit gezerrt werden, ist gut. Nicht, dass wir Vertrauen in die Aufklärungsarbeit vom Verfassungsschutz, des MAD oder der immer gleichen Verantwortlichen haben. Wie diese aussieht sollte, spätestens nach den Erkenntnissen in den Untersuchungsausschüssen zum NSU-Komplex klar geworden sein.
Wir fordern eine unabhängige Aufklärung der Vorgänge und zwar aller! Wir als Gesellschaft können solchen Gefahren nicht sprach- und tatenlos zuschauen. Die Bedrohung, die von extrem rechten Netzwerken in den Sicherheitsbehörden ausgeht, ist enorm. Noch gab es in den benannten Fällen keine Opfer, lasst es uns nicht soweit kommen lassen!
In Gedenken an alle, denen aufgrund von Rassismus oder staatlicher Willkür das Leben genommen wurde.