Zur Zeit wird viel von gesellschaftlichem und institutionellem Rassismus geredet. Rassismus und rassistische Polizeigewalt sind dabei kein US-Phänomen, sondern auch bei der deutschen Polizei kein Einzelfall: Racial Profiling ist an der Tagesordnung. Immer wieder berichten PoC von Misshandlung durch Polizisten, immer wieder werden Menschen aus rassistischen Motiven von Polizisten ermordet.
Ein paar Beispiele aus der letzten Zeit:
Im März diesen Jahres wurde in Essen eine Familie mit Migrationshintergrund von Polizist*innen auf der Wache verhöhnt und geschlagen, nachdem sie wegen eines Überfalls Anzeige erstatten wollte. Kurz darauf wurde ein Video eines 23-jährigen Mannes hochgeladen, in dem er ebenfalls davon berichtet, wie er und sein Vater Opfer rassistischer Polizeigewalt wurden. Die Essener Polizei bestreitet die schwerwiegenden Vorwürfe.
2018 wurde in Kleve der syrische Asylbewerber Amad A. aufgrund einer angeblichen Verwechslung für zwei Monate unschuldig inhaftiert. Er starb im September, nachdem in seiner Zelle ein Feuer ausgebrochen war. Festgenommen wurde er aufgrund eines Haftbefehls wegen Diebstahls, der sich jedoch gegen einen anderen Mann aus Mali richtete. Die Polizei sprach von einer Verwechslung aufgrund eines falsch angegebenen Aliasnamen. Doch im Zuge der Ermittlungen wurde festgestellt, dass Datensätze vorsätzlich manipuliert wurden. Die Umstände der Verhaftung und des Todes von Amad A. sind bis heute nicht ausreichend geklärt. Die Polizei sprach von Suizid, eine Aussage, die von Angehörigen in Zweifel gezogen wird.
Aufklärung und Gerechtigkeit? Kann man also knicken. Korpsgeist und politische Mauern verhindern beinahe immer, dass die Rassist*innen in Uniform zu Rechenschaft gezogen werden. Vor Gericht bekommen Polizist*innen viel zu oft Recht. So laufen auch die mutmaßlichen Mörder von Oury Jalloh, der 2005 in einer Zelle in Dessau verbrannte, immer noch frei herum.
Nur durch investigativen Journalismus oder durch Videos der Vorfälle kommt die Polizeigewalt ans Tageslicht. Es braucht Transparenz, es braucht unabhängige Aufklärung und Gerechtigkeit für Opfer von rassistischer Polizeigewalt!
Der Rassismus bei der Polizei fällt allerdings nicht irgendwie vom Himmel, er ist systematisch und häufig ideologisch. Innerhalb der Polizei gibt es extrem rechte Netzwerke.
Im August 2018 bekam die Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz den ersten Drohbrief mit der Unterschrift “NSU 2.0” . Basay-Yildiz hatte im NSU-Prozess mehrere Opferfamilien vertreten. Die Drohbriefe, die ihr in hoher Frequenz und immer mit derselben Unterschrift zugesandt wurden, enthielten unter anderem Morddrohungen gegen ihre Tochter. Es stellte sich heraus, dass diese vertraulichen Daten kurz vor dem ersten Drohbrief von einem Computer in einem Frankfurter Polizeirevier abgefragt wurden. Zeitgleich wurden fünf Beamte wegen des Austauschs rechtsextremistischer Inhalte in einer privaten Chatgruppe vom Dienst suspendiert. Ein weiterer Polizist aus Darmstadt soll ebenfalls persönliche Daten der Anwältin an eine Bekannte weitergegeben haben. Der Komplex ist bis heute nicht geklärt.
Recherchen von „taz“ und „Focus“ deckten in vergangenen Jahren die so genannte Gruppe Nordkreuz auf: Bundesweit organisierten sich Elitesoldaten, Reservisten, Polizisten und auch Staatsanwälte in Chatgruppen, darunter auch die sogenannte Gruppe „Nordkreuz“. Sie schmiedeten Umsturzpläne im Falle einer Krise („Tag X“) und horteten hierfür Waffen, Sprengstoff, Munition und Leichensäcke. Viele dieser Materialien stammten aus Bundeswehr- und Polizeibeständen.
Im Februar diesen Jahres flog die Terrozelle „Gruppe S.“ auf, die Anschläge auf Moscheen im Raum Augsburg vorbereitet hatte. Bei den Razzien durch die Polizei wurden u. a. eine schussbereite 9-Millimeter-Pistole und selbstgebaute Handgranaten sichergestellt. Ein Mitglied der Gruppe war der Polizeimitarbeiter Thorsten W. – zwischen 2013 und 2014 im Polizeipräsidium Hamm im Bereich „waffenrechtliche Erlaubnisse“ tätig. Politik und Behördenleitung zeigten sich schockiert und zerknirscht, denn es hatte immer wieder eindeutige Hinweise auf Thorsten W.‘s Gesinnung gegeben: Lektüre der neurechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“, das Tragen der bei Nazis beliebten Bekleidungsmarke Thor Steinar, eine Reichkriegsflagge auf dem Balkon. Doch diese Hinweise führte bei der Polizei lediglich zu einem Gespräch mit der Anordnung zur politischen Mäßigung. Es wurden keine Disziplinarmaßnahmen ergriffen oder Strafanträge gestellt.
Die extrem rechten Netzwerke in Polizei und Behörden müssen aufgedeckt werden, die Beteiligten und Verantwortlichen müssen ihren Positionen enthoben werden!
NRW
Als Reaktion auf diesen Fall wurde im März 2020 beschlossen, dass in jeder Landespolizeibehörde in NRW ein*e Extremismusbeauftragte*r eingesetzt werden soll. Sie sollen dort als Ansprechpartner*innen in Verdachtsfällen fungieren. Inwieweit eine solche Struktur wirksam gegen geschlossen extrem rechte Netzwerke bei der Polizei wirksam ist, bleibt fraglich.
Dennoch, nach Angaben der Behörden gab es allein im laufenden Jahr bereits 15 Ermittlungsverfahren wegen fremdenfeindlicher oder volksverhetzender Äußerungen bei der Polizei. Die Ermittlungen konzentrieren sich hierbei schwerpunktmäßig auf Hamm und Aachen. Was genau der Aachener Verdachtsfall ist, wird allerdings nicht preis gegeben – Transparenz geht anders.
Rassistische Verdachtsfälle sind bei der Aachener Polizei allerdings auch nichts Neues. Zuletzt machte man dort bundesweit von sich reden, weil zwei Beamte „Sieg Heil“-Rufe aus einer Fernsehserie über Funk weitergegeben hatten. Es soll sich wohl um ein Versehen gehandelt haben. Wieso es die beiden Beamten für angebracht hielten, sich während des Wachdienstes vor einer Synagoge diese Serie im Internet anzusehen, ist allerdings fragwürdig.
Doch die Fälle von rechten Strukturen bei der Aachener Polizei reichen noch weiter zurück: 2014 machte eine Gruppe von Polizeischüler*innen Schlagzeilen, die rechtsextreme Inhalte über eine private Chatgruppe verbreiteten und eine Mitschülerin rassistisch mobbten. Die „lückenlose Aufklärung“ sah dann so aus: Nur zwei der Polizeischüler wurden suspendiert, die anderen sechs wurden als „Mitläufer“ bezeichnet und konnten ihre Ausbildung fortsetzen.
Im selben Jahr wurde der Aachener Hauptkommissar Wolfgang Palm aus dem Dienst entlassen, aufgrund seiner Mitgliedschaft bei der rechtspopulistischen „Bürgerbewegung Pro-NRW“. Nach mehreren Gerichtsverfahren wurde ihm der Beamtenstatus entzogen. Er sitzt heute noch im Stadtrat und bildet zusammen mit Markus Mohr von der AfD die „Allianz für Aachen“.
Beamt*innen in rechten Parteien sind keine Seltenheit. Der Bundespolizist Markus Matzerath und die Sachbearbeiterin der Aachener Staatsanwaltschaft Mara Lux sind beispielsweise Mitglieder der AfD. Mara Lux sitzt im Stadtrat, Markus Matzerath ist Vorstand des Kreisverbandes Städteregion Aachen. In ganz Deutschland gibt es eine Vielzahl von Polizist*innen in verschiedensten Dienstgraden, die Mitglied bei der AfD sind und dort teilweise sogar hohe Posten einnehmen.
Gemeinsam für eine befreite Gesellschaft!
Extrem rechte Ideologie bei der Polizei ist ein altes und verbreitetes Problem: Die Möglichkeit legal Gewalt und Macht auszuüben, Waffen, der patriotische Dienst fürs Vaterland üben eine besondere Anziehungskraft auf Menschen mit einem rechten Weltbild aus. Diese Gefahren werden durch den anhaltenden Rechtsruck der Gesellschaft und die Aufrüstung der Sicherheitsbehörden noch verstärkt. Fehlende unabhängige Kontrolle, Korpsgeist und eine Justiz, die das Ganze deckt verschlimmert die Lage. Wir wollen Transparenz und Nachvollziehbarkeit, eine Kontrolle der Polizei und vor allem keine Nazis in Uniform!
Wir solidarisieren uns mit allen Protestierenden gegen rassistische Polizeigewalt, ob in den USA, hier oder anderswo. Wir trauern mit all denen, die Angehörige durch Polizeigewalt verloren haben. Beim Blick in die USA dürfen wir nicht vergessen: Die Ursachen, die zum Mord an George Floyd und den darauf folgenden Ausschreitungen geführt haben, sind dieselben, wie die, die in Deutschland den NSU und den NSU 2.0, den Mord an Oury Jalloh und Strukturen wie „Nordkreuz“ ermöglicht haben. Die Probleme heißen Rassismus, autoritäres Denken, hierarchische Organisierung der Gesellschaft, Ausbeutung und soziale Ungleichheit.
Die Umstände in den USA sind andere, als hier: Die Struktur des Staates und der Gesellschaft, ebenso die Geschichte des Landes und der Bevölkerung sind unterschiedlich. Es ist daher wichtig, sich dort, wo man lebt, stark zu machen und gegen all diese grundlegenden Probleme auf die Straße zu gehen. Wir wollen eine befreite Gesellschaft, in der Menschen egal mit welcher Hautfarbe, welchem Geschlecht oder sexueller Orientierung gleichwertig sind und frei leben können.
Rest in Power!