Erklärung zu den zwölf angekündigten „Montagsdemonstrationen“ der Partei „Die Rechte“

Hier das Flugblatt von „Antifaschist*innen aus Dortmund“:

Zum vierten Mal innerhalb kürzester Zeit marschierten am Montag, dem 7. Oktober 2019, Neonazis aus dem Umfeld der Partei „Die Rechte“ durch die migrantisch geprägte Dortmunder Nordstadt. Die Splitterpartei hat angekündigt, bis zum 23. Dezember jeden Montag weitere Aufmärsche in der Nordstadt durchführen zu wollen. Wir wollen dies zum Anlass nehmen, einige grundlegende Punkte in Bezug auf den Umgang mit rechten Versammlungen im Stadtteil und ausbleibender Solidarität mit den betroffenen Anwohner*innen anzusprechen.

Am 20. September verkündete Polizeipräsident Gregor Lange: „Wir werden streng darauf achten, dass unsere vielfältigen Auflagen zum Schutz der Bevölkerung vor Hass und rechter Hetze minutiös eingehalten werden. Bei Verstößen werden wir konsequent einschreiten!“ Die Nazidemonstration solle „nicht an die Gedenkstätte Steinwache, nicht an den Gedenkstein für das NSU-Opfer Mehmet Kubaşık, nicht an den Nordmarkt und auch nicht an den Mehmet-Kubaşık-Platz“ führen.

Zehn Tage später, am 30. September 2019, interessiert das die Einsatzleitung und Polizeiführung anscheinend nicht mehr. Entgegen den zuvor getätigten Verlautbarungen der Polizei wurden die Neonazis vor ihrer Demonstration sehr wohl am Mahnmal und an der Steinwache vorbeigeleitet. Die Route der Demonstration führte in unmittelbarer Nähe über die Münsterstraße am Mehmet-Kubaşık-Platz vorbei. Mit antisemitischen Parolen wie „Nie wieder Israel“ und „Palästina hilf uns doch – Israel gibt es immer noch!“ konnten Neonazis der Partei „Die Rechte“ an Rosch Ha-Schana (dem jüdischen Neujahrsfest) und dem Jahrestag des Massakers von Babyn Jar durch Dortmund ziehen. Unbehelligt blieben seitens der Polizei auch rassistische Parolen wie z.B. „Abschieben, Abschieben!“ in Richtung von Personen am Rande der Demonstration. Bei den Demonstrationsteilnehmer*innen handelt es sich um Neonazis, die zum Teil seit Jahrzehnten rechte Terrorkonzepte propagieren. Der mutmaßliche Deutschland-Sprecher des rechten Netzwerks Combat 18 trug bei der Demonstration am 30. September das Frontbanner.

SITZBLOCKADEN SIND SCHÖN, WENN SIE NICHT STÖREN

Nachdem die Nazidemo am 20. September um einen Blockadenparcours herum durch die Nordstadt geführt werden musste, sah sich die Polizeiführung vor der ersten Montagsdemo der Nazis am 30. September dazu veranlasst, sich etwas grundsätzlicher zu ihrem Umgang mit Blockaden zu äußern. Die Nordstadtblogger berichteten:

Daher werde die Polizei auch nicht gegen friedliche Sitzblockaden vorgehen. Denn einen Handlungsbedarf dagegen gebe es nur, wenn daraus versammlungsrechtlich „grobe Störungen“ entstünden – das wäre eine Straftat. „Wenn eine Umgehung möglich ist, ist kein Straftatbestand erfüllt“, macht Lange deutlich.“

Wer dachte, dass sich nun etwas ändern könnte, wurde enttäuscht. Eine Sitzblockade am 30.9. etwas abseits der Route in der Schützenstraße wurde halbwegs in Ruhe gelassen. Schon der Ansatz einer Sitzblockade an der Helmholtz-Schule auf der Route vor der Nazidemo wurde ohne Vorwarnung brutal von der Straße geräumt. Wie mit einer handvoll Leuten die obere Münsterstraße so blockiert werden kann, dass „keine Umgehung möglich ist“, wird das Geheimnis der Einsatzleitung bleiben. Eine Sitzblockade am 7.10. in der Schützenstraße wurde mit dem Vorwurf des Landfriedensbruchs belegt, nachdem die Nazidemo direkt an ihr vorbei geleitet wurde.

Die polizeitaktische Zurückhaltung von öffentlich relevanten Informationen im Vorfeld verbunden mit dem Schweigen von Zivilgesellschaft und Politik führt dazu, dass die Grundproblematik der Aufmärsche („Rassisten provozieren im migrantischen Viertel“) als rein ordnungspolitisches Problem verhandelt wird und die Nordstadt für den taktischen Erfolg in Dorstfeld (dem medienwirksamen Übermalen der „Nazikiez“-Graffitiwand) geopfert wird. Die Polizeiführung betonte, dass die Reaktionen der Nazis „einkalkuliert“ worden seien und man nun nur „hoffe“, dass nicht durch „linke Gewalt“ die Nazis mehr Aufmerksamkeit bekommen, als sie verdienen. Nun sorgte aber nicht die „linke Gewalt“ für die Aufmerksamkeit über Dortmunds Stadtgrenzen hinaus, sondern die Tatsache, dass einmal mehr Neonazis mit offen antisemitischen und rassistischen Parolen geschützt durch mehrere Hundertschaften der Polizei auf Dortmunds Straßen hetzen durften.
Die alte Strategie des Aussitzens und Herunterspielens rechter Umtriebe erfährt eine taktische Aktualisierung mit dem gleichen Ergebnis: Eshilft nichts. Was die immer wieder von der Polizei vorgetragene „Null-Toleranz-Strategie gegen Rechts“ wert ist, muss daran gemessen werden, dass sie rassistischen Hetzer*innen zum Spaziergang durch das migrantische Viertel den roten Teppich ausrollt und daran, dass antisemitische Parolen auf Dortmunds Straßen Realität sind.

FAILED STATE DORTMUND (NORDSTADT)

Bemerkenswert im Zusammenhang mit den Naziaufmärschen in der Nordstadt ist das nahezu vollständige Ausbleiben einer Positionierung von Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und anderen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen. Die „professionellen“ Antifaschist*innen, die vor allem dann lautstark ihren Kampf gegen Rechts feiern, wenn sie irgendwo ein Transparent in eine Kamera halten können, hüllen sich zu all dem in Schweigen. Öffentlichkeitswirksame konzertierte Aktionen wie das Übermalen von Nazigraffiti werden hervorgehoben, der antifaschistische Protest in der belebten Dortmunder Innenstadt wird dagegen öffentlich unterstützt.

Die Presse berichtet zunächst kaum und hat ohnehin keine Reichweite hin zur mehrheitlichen Bevölkerung der Nordstadt. Ein großer Teil der Menschen im Stadtviertel weiß überhaupt nichts davon, dass bis zum 23. Dezember jeden Montag ein Ausnahmezustand im Stadtviertel droht undNeonazis direkt vor ihrer Tür hetzen dürfen. Von den Parteien des Bezirks gibt es kein einziges Statement dazu, dass in dem von ihnen regierten Stadtteil innerhalb von drei Monaten 15 Naziaufmärsche stattfinden sollen. Wieso überhaupt noch kommunal wählen (sofern wahlberechtigt) bzw. sich engagieren, wenn den Stadtteil also allein die Polizei regiert? Angesichts des gesellschaftlichen Rechtsrucks und der anhaltenden Bedrohung durch rechten Terror fragen wir uns: Wo bleibt die Solidarität mit den Nordstadtbewohner*innen und den migrantischen Communities?

WIE WEITER?

Sowohl die Eröffnung des Nazi-Modeladens in der City, als auch die Aktion der AfD im Dietrich-Keuning-Haus und die Nazi-Demos, konnten positiv gewendet werden. Am Thor-Steinar-Laden „Tønsberg“ in der Innenstadt gab es einen gelungenen mehrwöchigen Kampagnenauftakt, der sich zu einem sozialen, spektrenübergreifenden Treffpunkt des antifaschistischen Dortmund etabliert hat. Bei der AfD gab es breiten Protest, der trotz unterschiedlicher Ziele dazu geführt hat, dass die Veranstaltung nicht unwidersprochen verlaufen konnte.

Jeder Aufmarsch der Nazis in der Nordstadt ist zur Zeit die Gelegenheit, Dinge auszuprobieren, die Selbstorganisation von Gruppen, Zusammenhängen und Mobilisierten etwas besser hinzubekommen und am Ende eine viel höhere Dynamik auf der Straße zu erreichen. Neu ist dabei, dass der Kontakt zu Anwohner*innen sich deutlich verbessert hat und einen guten Anteil am Protest einnehmen: von gelangweilten Kids, die Rassist*innen hassen und sich darauf freuen, dass an den nächsten Montagen „mal was los ist“ zu spontanen Beteiligungen an Sitzblockaden.

Wir werden daran weiter festhalten und uns auch für die potentiellen weiteren Aufmärsche jedes Mal etwas einfallen lassen. Wir sind dabei auf Unterstützung von außen angewiesen. Wir möchten uns hier schon bedanken: Danke für #dankeantifa und all diejenigen, die uns von immer wieder auf vielfältige Weise unterstützen, sei es durch ihren Zuspruch oder aktiv auf der Straße. Wir wünschen uns eine noch breitere Unterstützung, sollte es in den nächsten Wochen zu weiteren Aufmärschen kommen.

Gemeinsam gegen Neofaschismus & Rechtspopulismus!
Gemeinsam gegen Rassismus & Antisemitismus! 
Zusammenhalten gegen den Rechtsruck.

Antifaschist*innen aus Dortmund, Oktober 2019

Diese Erklärung wurde verfasst von Personen, Gruppen, Zusammenhängen und Läden, die im Rahmen der Proteste gegen Nazis in der Nordstadt aktiv sind.

Weitere Infos https://dab.nadir.org