Amüsiert waren wir von einem neuerlichen Bericht der Kameradschaft Aachener Land, einer, wie es der Untertitel verspricht „ersten Stellungnahme zu Terrorismusvorwürfen“.
Zum Verständnis: Es geht um einen rassistischen Mord im Oktober 2010 in Leipzig, an dem ein zumindest ehemaliges Mitglied der KAL beteiligt war und um den Bau von mit Sprengstoff und Scherben angereicherten Böllern durch mindestens ein KAL-Mitglied in Aachen. Von beidem sucht sich die KAL hier zu distanzieren, gelingen tut ihr das freilich nicht. Das einzige, was sinnvoll aus diesem Text gezogen werden kann ist a) der KAL geht’s grad nicht so richtig gut und b) Kameradschaft hört genau da auf, wo die Repression droht. Aber Kameradschaft ist eben auch etwas anderes als Solidarität. Erste gilt immer nur den Starken und denen, die noch zu gebrauchen sind. Und im Knast ist der Nationalist wohl eher schwach und der (neonazistischen) Sache nicht nutze. Aber der Reihe nach.
Die KAL beschwert sich darüber, dass der Mord in Leipzig „Mord“ genannt wird. Das allerdings soll bloß nicht bedeuten, (denn sie befinden sich ja auf dem Distanzierungstrip) dass der Mord gutgeheißen werden soll. Zitat: „Vorweg: Es geht uns nicht darum, den Mord in Leipzig zu relativieren!“ Ja, was denn nun? fragt sich die weniger geneigte Leserin. Mord? Nicht Mord? Aber lassen wir das Rumhacken auf den kleineren inneren Widersprüchen. Was die KAL hier eigentlich sagen wollte ist, dass einer der Täter zwar in der KAL war, dies aber nach einem Ortswechsel und (mensch höre!) einem „deutlichen Kurswechsel“ der KAL nicht mehr ist.
Das tut nur eben der Tatsache nichts ab, dass einer der Mörder von Kamal K. aus den Reihen der KAL kommt. Hier ist er politisch aktiv gewesen und eben das halten etliche BeobachterInnen keineswegs für einen Zufall. Denn die KAL ist eine militante, rassistische, neonazistische Gruppe, die gerne auch mal offen zur Schau stellt, was sie gerne mit MigrantInnen tun würde. Wir erinnern hier nur an den Naziaufmarsch in Stolberg im April 2008. Dort skandierten KAL-Mitglieder Parolen wie „Türken haben Namen und Adressen“. Auf einem mitgeführten Transparent explizierte die unterzeichnende KAL: In den Lauf einer Waffe blickend war zu lesen „…auch Ihr habt Namen und Adressen. Kein Vergeben. Kein Vergessen“. Diese Drohung zierten zudem gezeichnete Einschusslöcher und stilisierte Blutflecken. Ob das der „Kurswechsel“ ist, von dem die KAL spricht? Dass jedenfalls einer der Mörder von Kamal K. aus diesen Strukturen kommt, hier (wie der Initiativkreis Antirassismus in Leipzig es treffend formuliert) sein „ideologisches Rüstzeug“ erhielt, ist für uns nicht sonderlich verwunderlich. Und dass die rassistische Hetze sich mit der vermeintlichen Neuorientierung nicht geändert hat, beweist die KAL gleich im nächsten Abschnitt.
Etwas wirr formuliert, ist hier wohl gemeint, dass es total gemein sei, dass in Leipzig von Mord gesprochen wird, während in Stolberg die Gerichte auf Totschlag entschieden. Sie sehen darin ein Zeichen für „Deutschenfeindlichkeit“, wie sie das so gerne so oft nennen.
Den Unterschied zwischen diesen beiden Ereignissen erklären wir hier gerne noch einmal. In Stolberg wurde ein junger Mann von einem anderen jungen Mann erstochen. Sie hatten Streit. Dieser Streit hatte nichts mit ethnischen Konstruktionen zu tun – zum Leid der KAL. Die wollte ganz unbedingt in diesem Vorfall sehen, dass ein junger Mann mit migrantischem Hintergrund einen jungen Mann ohne migrantischen Hintergrund erstochen hatte. Und so wurde dieser Vorfall von der KAL ethnisiert. Diese Ethnisierung von Gewalt könnte mensch auch als rassistische Konstruktion bezeichnen. Die KAL kann das ziemlich gut mit dieser rassistischen Ethnisierung. Rassismus hat immer Folgen. Eine Folge war der Mord an Kamal K. in Leipzig im Oktober diesen Jahres. Hier wurde ein Mensch mit migrantischem Hintergrund von mindestens einem Neonazi umgebracht. Dass Neonazis rassistisch sind, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Es liegt also nah, dass es sich hier um ein politisches Motiv namens Rassismus handelt (dies wäre nach Rechtssprechung, mag mensch davon halten, was sie oder er will, ein „niedriger Beweggrund“, also das, was Mord von Totschlag unterscheidet).
Das Problem heißt also Rassismus. Und zum Rassismus gehört es, dass der oder die, die oder der ihn ausübt, strukturell überprivilegiert ist. Als „deutsche Weiße“ können sich Neonazis durchaus zu den Überprivilegierten zählen. Die Konstruktion „Deutschenfeindlichkeit“ ist demnach schlicht Quatsch und dient einzig dazu, dass Überprivilegierte sich auch mal als Opfer fühlen dürfen und aus dieser Position des vermeintlichen Opfers heraus eine Notwehrsituation erfinden, die dann dazu legitimieren soll, gegen MigrantInnen vorzugehen – in welcher Form auch immer. So ist die Rede von „Deutschenfeindlichkeit“ eine diskursive Stütze des Rassismus. Wie Rassismus also immer zum Handeln auffordert, kann nachgelesen werden in einem von der KAL mit-veröffentlichten Aufruf zu einer Demonstration ausgerechnet im Oktober in Leipzig. Kurz gesagt steht da drin, dass „Migration“ den „Volkstod“ bringe. Die bevorstehende „Vernichtung“ des „Volkes“ (hiermit sind immer Bio-Deutsche gemeint) müsse abgewehrt werden, meint neben anderen Neonazis auch die KAL und schließt in nationalsozialistischem Jargon mit der zu treffenden Wahl zwischen „totalem Sieg“ oder „totalem Untergang“. Und so wird die Notwehrsituation schon quasi präventiv festgelegt. Rassistische Morde werden so zur „Verteidigung des Volkes“.
Aber zurück zu den Distanzierungen der KAL. Nachdem sich die Kameradschaft also gehörig von dem Alt-KALler Daniel K. distanziert, ihn mit dem Verurteilten in Stolberg verglich (dem man auf einem Neonaziportal auch mal die Todesstrafe wünschte), fällt die Distanzierung bezüglich des KAL-Mitglieds Falko Wolf deutlich milder aus. Dieser habe – ganz in der oben beschriebenen NS-Rhetorik – sich nur wehren wollen. Mit Sprengstoff gegen die bösen „Linksextremisten“, weil nämlich die haben vorher ein Foto von sich gemacht, das den neonazistischen AktivistInnen Angst machte, irgendwie so geht hier die Argumentationslinie. Leise Kritik an Falko&Co. wird allerdings doch laut. Man hätte darauf nicht unbedingt so reagieren müssen. Außerdem sei’s nicht klug gewesen, die präparierten Knaller in eine zu erwartende Polizeikontrolle mitzunehmen. „Nicht erwischen lassen“ lautet hier die Devise. Außerdem kann jeder machen, was er will. Nicht die Verantwortung der KAL, die hätten nichts gewusst. So ganz überzeugend ist das allerdings nicht, so war Falko neben anderen KAL-Mitgliedern in den letzten Jahren immer wieder an militanten Aktionen beteiligt – schwer zu glauben, dass hier seine „Kameraden“ nicht involviert waren. Außerdem, so die KAL, sei Falko Wochen danach aus der KAL ausgeschlossen worden. Es hätte keinen aus ihren Reihen gegeben, der ihm eine solche Aktion nahe gelegt hätte. Nein? Aber Falko selbst war in ihren Reihen, war in dieser Zeit aktives KAL-Mitglied. Erstaunlich, dass eine solch hierarchisch, autoritär strukturierte Organisation so wenig über ihre Mitglieder wissen soll. Jedenfalls meint die KAL, das Vorhaben, Antifaschist_innen mit diesen Waffen an diesem Ort zu dieser Zeit anzugreifen, sei zum Scheitern verurteilt gewesen. Nicht zuletzt deshalb hätte das niemand Falko nahe gelegt. Implikat: Gute Idee, aber die Ausführung war irgendwie blöd?
Die KAL findet abschließend, dass gegen sie gehetzt und gelogen wird. Dabei entlarvt sie sich in ihren Distanzierungen ganz gut selbst – als rassistische, neofaschistische Organisationsstruktur – organisiert genug, um Mitglieder „aus den Reihen der KAL zu verbannen“. Allzu viel Sorge allerdings muss sich die KAL nicht machen. Trotz allem sehen weder das Innenministerium NRW noch der Bundesverfassungsschutz Hinweise für „rechtsterroristische“ Aktivitäten in der BRD. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Und auch die Aachener Gerichte und Staatsanwält_innen werden wohl das tun, was sie immer tun, geht es um Neofaschismus: Vertagen, verzögern, einstellen oder aber entpolitisiert einzeln verurteilen. An den Strukturen der extremen Rechten wird hier nicht gerüttelt. Aber selbst wenn sich mal wer ranwagen würde, die KAL zu verbieten (die Angst davor ist der Grund für ihre Distanzierungen gegen alte Mitglieder), die gesellschaftlichen Ursachen für die von ihnen vertretenen Ideologien würden damit nicht angetastet. Dafür muss woanders angesetzt werden: bei gesellschaftlichem und institutionalisiertem Rassismus, Sexismus und Nationalismus, bei autoritärem Denken, bei den zahlreichen Sehnsüchten nach dem starken Staat und dem großen Mann, der’s richtet – ohne diese Aufzählung abschließen zu wollen.