Gestern fand der Prozess gegen 5 Antifaschist_innen statt, die an Heiligabend 2008 mit einer Hausbesetzung unmittelbar am Auftaktkundgebungsort des von Christian Worch und Axel Reitz veranstalteten Aufmarsches diesen verzögerten.
Pünktlich zum geplanten Beginn des Naziaufmarsches waren aus dem ehemaligen Hauptzollamt am Aachener Hbf ein Transparent „Antifaschismus braucht Freiräume!“ entrollt und per Megafon eine Rede verlesen worden. Die sich unter diesen Fenstern formierende Auftaktkundgebung von Worch& Co wurde kurzfristig beiseite geschoben. Das Haus wurde in kürzester Zeit geräumt, die Festgenommenen saßen gestern wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung vor Gericht.
Mehr Informationen finden sich nach einem Klick auf „mehr“, oder direkt hier http://de.indymedia.org/2009/09/262177.shtml oder hier: http://www.no-nazis.net/?page_id=55
und auch bei klarmann: http://klarmann.blogsport.de/2009/09/28/xx/
Von Seiten der Angeklagten wurde in einer Prozesserklärung, die die Aktion in den Kontext der Situation in Aachen stellte, unter anderem verdeutlicht, dass es sich entgegen der Bemühungen von Gericht und Staatsanwaltschaft dies zu leugnen, um ein politisches Verfahren handele. Nach anfänglichen Versuchen der Staatsanwaltschaft, den Prozess durch das Angebot einer Strafhalbierung (30 Tagessätze) zu verkürzen, weiter könne er nicht gehen, so der Staatsanwalt, denn „wer gegen genehmigte Veranstaltungen vorgeht, richtet sich direkt gegen den demokratischen Rechtsstaat“, begann die Beweisaufnahme. Die geladenen Zeug_innen, fast alle von der Kölner Einsatzhundertschaft, verstrickten sich in dem üblichen, sich einander widersprechenden blabla, von „ein Kollege hat gesagt/gesehen, dass erhebliche Sachbeschädigungen vorlagen“ über „die Sachbeschädigungen gehen alle auf das Konto des eigenen Zuges und der Bundespolizei- da gibt es nichts dran zu rütteln“ bis zum verbissenen Versuch, den Angeklagten doch wenigstens noch eine klitzekleine Widerstandshandlung anhängen zu wollen. Richterin und Staatsanwaltschaft sahen sich daraufhin gezwungen, von ihrem anfänglichen Verurteilungswillen abzusehen.
So kam es nach 2 ½ Stunden Verhandlung zu einer Einstellung gegen 200 Euro Bußgeld.
Ein Verfahren vor dem Jugendgericht in dieser Sache endete bereits vor einigen Wochen mit Einstellung auf Staatskasse.
Warum diese Aktionsform?
Hinter dieser Aktionsform, der temporären Besetzung als Intervention, stand zum einen die Überlegung, effektiv in den Ablauf des Aufmarsches einzugreifen. Während sich Antifaschist_innen im Haus aufhielten, konnte der Aufmarsch nicht beginnen, die Neonazis konnten den Bahnhof nicht verlassen. Zu „unsicher“ sollte die Lage sein… Die Aachener Polizei musste entscheiden, ob der Naziaufmarsch vor Beginn bereits abgebrochen werden musste oder ob ad hoc eine Hausräumung stattfinden solle und entschied sich für letzteres. Das ist schade aber nicht konzeptlos und bestimmt nicht politisch verwundernd.
Auch wenn nicht sicher war, ob der „Plan“ aufgehen würde, den Aufmarsch so zu verhindern, so wurde zumindest gehofft, eine etwas größere Hürde aufzustellen, als das üblicherweise Sitzblockaden tun – mit einer vergleichsweise geringen Zahl von Festnahmen. Diese Idee schien verlockender als übliche Konzepte, die viel zu oft nicht mehr funktionieren, statisch weil voraussehbar werden.
Zum anderen ging es darum, verschiedene politische Auseinandersetzungen solidarisch aufeinander zu beziehen. So fand die Aktion zu einem Zeitpunkt statt, an dem (wiedermal) autonome Räume in Aachen durch Verkaufspläne der Stadt bedroht waren, zu einem Zeitpunkt, an dem neue Räume aufgebaut wurden, zu einem Zeitpunkt an dem deutlich war, dass die Stadt Aachen der Forderung nach einem sozialen Zentrum nicht nachkommen wird, dass Besetzungen nicht geduldet werden, dass leere Häuser und Plätze allemal besser sind, als besetzte und belebte.
Mit dem schlichten Spruch: „Antifaschismus braucht Freiräume“ und der symbolischen Besetzung sollte zudem vermittelt werden, dass faschistische Organisierung nicht mit staatlichen Mitteln zu bekämpfen ist, dass Antifaschismus nicht heißt, mit härteren Gesetzen zu hantieren, mehr Bullen oder den starken Staat zu fordern. Antifaschismus ist eingebettet in linksradikale Politik, die Strukturen angreift, Strukturen, die faschistische und autoritäre Bewegungen begünstigen. Linke Politik, die Räume besetzt, Themen besetzt, die offensiv agiert, statt sich ausschließlich dem Abwehrkampf hinzugeben, ist konkrete antifaschistische Politik weil sie Nazis Räume nimmt. Und sie ist schließlich wahrscheinlich effektiver als dem nazistischen Wanderzirkus hinterherzulaufen. Je mehr Zugänge es gibt, je breiter die Aktionsformen und je solidarischer die verschiedenen Strategien und Schwerpunkte aufeinander bezogen werden, desto effektiver ist auch antifaschistische Arbeit – gerade in einem Klima, in dem Spaltungen aller Art (bezüglich Aktionsformen, bezüglich Themenschwerpunkten, bezüglich inhaltlicher Differenzen) forciert werden.
Vielleicht war diese Aktionsform in den Augen Einiger nicht erfolgreich oder der Preis zu hoch. Der Naziaufmarsch fand statt. Aber durch die solidarische Bezugnahme der anderen Demonstrant_innen auf diese Aktion, durch den Überraschungsmoment auf unserer Seite und durch das Austesten der Handlungsspielräume hat sie sich gelohnt. Und es hat verdammt viel Spaß gemacht!
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der ganze Bericht findet sich auf Indymedia unter http://de.indymedia.org/2009/09/262177.shtml und unter http://www.no-nazis.net/?page_id=55 finden sich zudem Hintergrundinfos
Pressebericht hier: http://klarmann.blogsport.de/2009/09/28/xx/