Von AntifaschistInnen aus Stockholm und Aachen
Am 6. Dezember fand in Salem, einem Vorort von Stockholm, zum achten Mal der so genannte „Salemmarsch“ statt: eine Manifestation der (nord)europäischen extremen Rechten zum „Gedenken“ an Daniel Wretström: einem 17-jährigen Jugendlichen mir Anknüpfungen zur rechtsextremen Szene, der im Zuge einer spätabendlichen Auseinandersetzung mit einer Gruppe von jugendlichen MigrantInnen an einer Bushaltestelle in Salem tödlich verletzt wurde. Der Salemmarsch hat sich zum größten jährlichen rechtsextremen Treffen in Skandinavien entwickelt.
In der Woche vor dem diesjährigen Aufmarsch kam es in Stockholm zu einer Reihe rechtsextremer Angriffe, vor allem auf AktivistInnen der linken Szene. Neben einigen gewalttätigen Überfällen und Drohungen (etwa dem offenen „Belagern“ von Wohnungen linker AktivistInnen) kam es zu zwei besonders folgeschweren Attacken: Am 29. November wurde Cyclopen, ein autonomes Kulturzentrum im Süden Stockholms, in Brand gesteckt – das Gebäude brannte vollständig nieder. Zwei Tage später konnte sich ein in der schwedischen anarchosyndikalistischen Gewerkschaft SAC aktives Paar mit ihrem knapp dreijährigen Kind nur über den Balkon ihrer im dritten Stock gelegenen Wohnung in Sicherheit bringen, nachdem in diese durch den Briefschlitz Benzin geschüttet und angezündet worden war – die Familie verlor bis auf die am Leib getragenen Kleider alles.
Der Anschlag auf den Cyclopen führte in einschlägigen Neonazimedien zu schadenfroher Begeisterung und Nachahmungsaufforderungen. Dies galt auch für Deutschland. In den Altermedia-Kommentarspalten etwa wurde der Brand eloquent mit „Das fetzt! :)“, „Einfach nur Geil …..;-))))“ und „Burn Motherfucker… BURN!“ kommentiert. Einige ‚Kameraden’ sahen sich selbst zu Reimen inspiriert: „Advent, Advent, ein linkes Zentrum brennt. Erst eins, dann zwei,…“ Allerdings bedauern die Altermedia-UserInnen, dass keine Menschen zu Schaden gekommen sind: „Keine geschmolzenen Zecken? Schade!“. Auch im Forum von Rocknord wurde von einem „Freudenfeuer“ gesprochen und auch hier wird beklagt, dass sich während des Brandes keine Menschen in dem Haus aufhielten. „So stell ich mir nen gelungenen 1. Advent vor. Nur schade das die Bude leer war.“
Wie antifaschistische AktivistInnen in Schweden berichten, waren die Anschläge im Vorfeld des diesjährigen Salemmarsches zweifelsohne ein Versuch gewisser Teile der schwedischen Rechten, „Öl ins Feuer zu gießen“, entsprechende Medienaufmerksamkeit zu erlangen und den Marsch zu einem Spektakel werden zu lassen. Diese Hoffnungen gingen kaum auf. Trotz struktureller und institutioneller Diskriminierung von MigrantInnen in Schweden fehlt rechtsextremen Gewalttätern eine akzeptierende Öffentlichkeit. Die Anschläge lösten in breiten – auch bürgerlichen – Teilen der schwedischen Gesellschaft Abstoßen aus und verstärkten die zivilgesellschaftliche Verurteilung des Salemmarsches.
Auch innerhalb der rechtsextremen Szene dürften die Anschläge bestehende Spannungen eher noch vertieft haben. Bereits vor den Attacken setzten sich zwei einflussreiche Gruppen der Szene, die „Schwedische Widerstandbewegung“ (Svenska Motståndsrörelse) und die „Volksfront“ (Folkfronten) von der diesjährigen Salem-Koalition ab. Entsprechend lag auch die TeilnehmerInnenzahl unter dem Standard vorhergegangener Jahre.
Dies tat den regen Diskussionen zum Ereignis in rechtsextremen deutschen Kreisen keinen Abbruch. Ein Interesse an Salem gab es unter deutschen extrem Rechten seit Anbeginn. Seit diesem Jahr gibt es freilich auch einen konkreten Anknüpfungspunkt: die tödlichen Stichverletzungen, die Kevin P., einem 19-jährigen mit NPD-Kontakten, am 4. April im nordrheinwestfälischen Stolberg, in der Nähe Aachens, von einem jugendlichen Migranten zugefügt wurden, machen Salem für die deutsche Rechte zu einem Art Präzedenzfall. Auch in Stolberg wird nunmehr eines Märtyrers gedacht, der die „Verteidigung“ der angeblich bedrohten „eigenen nationalen Identität“ zusätzlich legitimieren soll.
Passend das Motto des Salemmarsches: „Gegen schwedenfeindliche Gewalt“. Dies verweist auf einen wichtigen ideologischen Baustein rechtsextremer Politik und Taktik. Der Opferkult soll durch alljährliche Rituale zum Gedenken der Märtyrer aufrechterhalten werden. Dadurch wird ein gemeinsames Selbstbild geschaffen, als Kämpfer, als standhaft, opferbereit und unbeugbar. Der Opferkult der extremen Rechten rechtfertigt dabei als fundamentaler Bestandteil einer jeden faschistischen Ideologie den Kampf gegen GegnerInnen oder vermeintliche GegnerInnen und rechtfertigt jedes Mittel in diesem Kampf, bis hin zum Mord – wie die jüngsten Ereignisse in Stockholm bestätigten. Der direkte Zusammenhang zum Salemmarsch scheint insofern alles andere als zufällig.
Eine explizite Verbindung zu Stolberg wurde heuer in Salem in der Rede des deutschen Neonazis Patrick Müller gezogen. Nachdem auch er MigrantInnen als GewalttäterInnen und die extreme Rechte als Opfer nicht nur von ihnen, sondern auch von Politik und Medien darstellt, meint er: „Am 4. April diesen Jahres töteten Ausländer in Stolberg bei Aachen einen jungen Nationalisten, der auf dem Heimweg von einer NPD-Veranstaltung war. Kevin wurde nur 19 Jahre alt. Er musste sterben, weil er sich zu Deutschland und seinem Volk bekannte.“ Müllers Schlussworte haben angesichts der Ereignisse der Vorwochen einen besonders fahlen Beigeschmack: „Verliert nicht das Ziel aus den Augen! Bewahrt unsere Völker vor dem Volkstod. Wenn ihr etwas an der Situation verändern wollt, dann macht das radikal und politisch! Für Daniel, für all die Opfer und natürlich für unsere Zukunft!“
Während Rechte Ereignisse wie jene in Salem oder Stolberg ihres Kontexts berauben und zur Bestätigung der angeblichen „Bedrohung“ hochstilisieren, ist das Bedrohungspotential, das sie für ihre politischen GegnerInnen darstellen durchaus real. Dies zeigen nicht nur die jüngsten Vorfälle in Stockholm, sondern die zahlreichen rechten Überfälle – nicht selten mit Todesfolge – auf MigrantInnen und Linke ebenso wie das gehortete Waffenpotential, das in Deutschland erst jüngst bei Polizeirazzien von Göttingen bis Görlitz entlarvt wurde. Von Salem bis Stolberg spannt sich ein Bogen, in dem Rechte ihre Gewalt durch vorgebliche Anti-Gewalt-Demonstrationen legitimieren.
Für antifaschistische AktivistInnen bleibt die Frage des Widerstands. Das schwedische Beispiel bestätigt die schwierige Balance, die hier zwischen zwei Notwendigkeiten gefunden werden muss: einerseits einer breiten zivilgesellschaftlichen Koalitionsfähigkeit gegen die extreme Rechte; und andererseits das Bewahren einer Kritikfähigkeit gesellschaftlicher Diskriminierung und Heuchelei. Um der extremen Rechten ihre Sammlungsorte zu nehmen, bedarf es Ersterer – dies zeigte sich in Deutschland zuletzt anlässlich des „Anti-Islamisierungskongresses“ in Köln. Um aber rechten Ideologien, Rassismus, Ordnungsdenken und autoritärer Diskurse und ihrer gesellschaftlichen Verankerung entgegenzuwirken, ist Zweitere unerlässlich.
Auch im Falle Salems kann bei den momentanen politischen Kräfteverhältnissen effektiver Widerstand, der auf Verhinderung von Aufmärschen zielt, nur über solche Koalitionen führen. Diese Möglichkeit wurde dort leider früh versäumt, und der Widerstand teilte sich auf in ein breites anti-rechtes Bündnis von links-liberalen und gewerkschaftlichen Gruppierungen, die in Stockholm, weitab des Geschehens, eine symbolische Anti-Rassismus-Demo abhalten, und Menschen, vornehmlich aus der autonomen Szene, die in Salem versuchen, den Marsch direkt zu stören. Dies erlaubt es PolitikerInnen und Polizei, das Geschehen in Salem als klassischen „Extremismuskonflikt“ darzustellen, der es dann auch schon einmal – wie dieses Jahr – legitim erscheinen lässt, über 500 AntifaschistInnen präventiv festzunehmen bzw. zahlreiche dänische und norwegische AktivistInnen kurzerhand auszuweisen.
Auch in Stolberg gibt es erste Anzeichen für eine Trennung des Widerstands. So fand letztes Jahr am Vortag eines Aufmarsches ein BürgerInnefest statt, das sich explizit von den direkten Gegenaktivitäten abgrenzte. Allerdings beteiligten sich auch viele Bürgerliche an den Demonstrationen in direkter Nähe zum Naziaufmarsch.
Zuversichtlich stimmte dieses Jahr in Schweden eine Initiative, die erstmals von AnwohnerInnen Salems ausging: einige von ihnen postierten sich entlang der rechten Marschroute in reflektierenden hellgelben Jacken und konfrontierten die marschierenden Neonazis mit Schildern, welche die Namen von Opfern neonazistischer Gewalt in Schweden trugen. Bei ihrem ersten Auftritt vielleicht wenig mehr als ein medienwirksamer moralischer Protest könnten sich um eine solche Initiative, die sich politischen Grabenkämpfen entzieht, effektive Widerstandstaktiken gegen den Marsch organisieren lassen – ohne sich dabei zum Spielball bürgerlicher Regierungen und ihrer verlogenen Politik machen zu lassen. Stattdessen könnten – und müssen! – diese weiterhin für ihren Beitrag zu einem rassistischen Alltag zur Verantwortung gezogen werden. Ein Beitrag, der momentan etwa in Schweden durch haarsträubende Gesetzesvorschläge wie jenen vom „Schwedenvertrag“ geleistet wird, den alle MigrantInnen als Bedingung für ihre Aufenthaltsgenehmigungen und Papiere unterschreiben sollen – quasi als schriftliches Bekenntnis zu schwedischer Nation und Kultur, was auch immer das sein mag.
Spiegelbildlich hierzu die immer wiederkehrenden nationalistischen Debatten um eine deutsche „Leitkultur“. Auch hier können wir nur rätseln, wovon die Rede ist. Etwas deutlicher wird dies in dem so genannten „Einbürgerungstest“, mit dem MigrantInnen in den Bereichen Verfassungsrecht, Kultur und Geschichte als Bedingung ihrer Einbürgerung geprüft werden sollen. Umso absurder klingen Merkels neuerliche Reaktionen auf die versuchte Tötung eines Polizeipräsidenten in Passau durch Neonazis. Sie merkte an, dass es vor allem der Zivilcourage [bedürfe], um den Rechtsextremismus überall da zu bekämpfen, wo er sich im öffentlichen Raum zeigt“. Lippenbekenntnisse dieser Art müssen auch weiterhin als solche entlarvt werden, zumal es doch die Regierung Merkel ist – und nicht nur diese –, die gleichzeitig die Kürzung der Gelder für Initiativen gegen Rechts kürzen will und dies auch tut.
Statt der offiziellen Politik mit gemeinsamen Protesten und Bündnissen ein Forum zu bieten, sich punktuell gegen rechte Gewalt in Szene zu setzen, sollten wir uns auf Bündnisse ‚von unten’ konzentrieren. In Stolberg ziehen Neonazis bei ihren „Gedenkmärschen“ durch das migrantische Viertel. Hier müssen BündnispartnerInnen gesucht werden, ohne vereinheitlichend oder paternalistisch zu agieren.
Wir sind herausgefordert, im Fall Stolbergs die Dimension der bis 2018 angemeldeten Nazidemonstrationen auch in antifaschistischen Kreisen zu verdeutlichen – diese Dimension wirkt weit über die Kleinstadt. Seit jeher wirken Opferkult und Märtyrergedenken als gemeinsame Referenzpunkte einend auf die extreme Rechte. In Stolberg spielte sich im April 2008 eine faktische Versöhnung vorgeblich verfeindeter Lager ab: der NPD, der freien Kameradschaften und der so genannten „autonomen“ Nationalisten. Gegen den gemeinsamen „Feind“ gelte es, zusammenzuhalten. Die Ereignisse in Stolberg sind kein lokales Problem, sondern eines, auf das mit breitem antifaschistischem und zivilgesellschaftlichem Widerstand reagiert werden muss.
Es stimmt hoffnungsvoll, dass das „Netzwerk gegen Rassismus“, das hauptverantwortlich für die Demonstrationen vor Ort in Salem ist, in Zusammenhang mit der breiten Solidarität, die den Betroffenen der Attacken zukam, eine Ausweitung des Netzwerks plant und neue Widerstandstaktiken erwägt.
Auch innerhalb deutscher antifaschistischer Kreise kam es nach den Ereignissen in Stockholm zu einer beeindruckenden Solidaritätswelle. Dies ist umso erfreulicher, weil effektiver antifaschistischer Widerstand ohne internationale Solidarität nicht möglich scheint. Der rechte Bogen, der sich von Salem bis Stolberg – und darüber hinaus – spannt, muss durch ebensolche – und effektivere! – Bögen bekämpft werden. Den Kampf gewinnen wir!
Dieser Artikel erschien in gekürzter Fassung in der aktuellen Lotta. In schwedisch und englisch wurde er hier und hier veröffentlicht.