Zur Berichterstattung der AN und AZ zur antifaschistischen Demonstration am 18.6.2010 in Aachen, haben die drei veranstaltenden Gruppen, also AZ Aachen, Antifa A³ und AK Antifa Aachen eine Gegendarstellung verfasst:
In der Aachener Lokalpresse, im Print- und Onlinebereich, fanden sich nach der antifaschistischen Demonstration in Aachen insgesamt drei Artikel diesbezüglich. Auf diese möchten wir gerne eingehen, um das Bild der VeranstalterInnen darzulegen, das sich durchaus anders gestaltete.
Bereits im Vorfeld der Demonstration findet sich ein Artikel „Am Freitag: Demonstration gegen Rechte“ in den Aachener Nachrichten, dem entnommen werden kann, dass sich in Aachen rechte Gewalt in den letzten Wochen und Monaten nocheinmal intensiviert hat. Aber wir lesen dort auch:
„Indes beschäftigen auch Gegenaktionen von Linken die Behörden – auch Neonazis wurden schon körperlich angegriffen. Auf den Bürgersteig vor einem Hotel, das die NPD – angeblich – kaufen will, haben Unbekannte zudem die Losung ‚Keine Geschäfte mit der NPD’ gesprüht. Am Sonntag ‚outeten’ Nazigegner zudem anonym im Internet rund 35 Neonazis und rechtsradikale Hooligans aus der Region mit Fotos und Angaben zu den Personen“. Jeder Journalist, jede Journalistin müsste hier aufmerksam werden. Es wird gesprochen von körperlichen Angriffen auf Neonazis. Als Belege gelten Sprühereien und das Bekanntmachen von aktiven Neonazis. Wo bitte, wird sich die Leserin fragen, sind denn die körperlichen Übergriffe? So wird unheilvoll auf die Demonstration eingestimmt.
Der Artikel „Überwiegend friedlich: 500 Menschen demonstrieren gegen Rechts“, der mit „red“ gekennzeichnet am 18.06. in der Onlineausgabe erschien, klingt noch verhältnismäßig moderat. Dort ist neben dem Anlass zur Demo zu lesen, dass es zu „Rangeleien“ mit der Polizei gekommen sei, „weil sich Teilnehmer teilweise vermummt hatten“. Ganz so stimmt das nicht. Es kam nicht zu „Rangeleien“ weil Menschen vermummt gewesen sein sollen. Das Fronttransparent der Demonstration wurde von dem Bonner Einsatzleiter der Demonstration als „Vermummung“ bewertete, eine Interpretation, die übrigens bisher vor keinem deutschen Gericht bestätigt wurde. Aufgrund dieser zweifelhaften Interpretation wurde die gesamte Demonstration circa 45 Minuten aufgehalten. Die Polizei verweigerte schlicht das Weitergehen und hinderte so mit einer juristisch kaum haltbaren Begründung die DemonstrantInnen an der Ausübung ihres Demonstrationsrechtes. Weiter ist zu lesen: „Dabei wurde auch Pfefferspray eingesetzt“. Interessant ist hier, dass in dieser Passivformulierung kein Akteur genannt wird. LeserInnen, die nicht zugegen waren, werden sich fragen, wer denn da Pfefferspray einsetzte. Warum wird nicht geschrieben, dass nachdem die Demonstration wegen dieser juristisch unzulässigen Maßnahme aufgehalten wurde, diese sich weiterbewegte, ohne das von ihr Gewalt ausging und die Bonner Einsatzhundertschaft daraufhin Schlagstöcke und Pfefferspray gegen die ersten Reihen einsetzte und so Menschen aktiv verletzte?
Unterstützt wird diese oben angesprochene suggestive Formulierung, die offen lässt, von wem Pfefferspray eingesetzt wurde von dem Kommentar neben der Bildergalerie in den Aachener Nachrichten. Dort liest man:
„Aufgeladene Stimmung am Freitagabend in der Aachener City: 500 Menschen, überwiegend aus dem linken Spektrum, haben unter Begleitung eines massiven Polizeiaufgebots gegen rechte Gewalt demonstriert. Dabei kam es immer wieder zu kleineren Zwischenfällen – Rangeleien, weil teils gegen das Vermummungsverbot verstoßen wurde, und auch Pfefferspray wurde wohl mehr als einmal versprüht […]“.
Hier reiht sich das Versprühen von Pfefferspray direkt an den angeblichen Verstoß gegen das Vermummungsverbot. Suggeriert wird auch hier, dass es die DemonstrantInnen waren, die diese Waffe eingesetzt hätten.
Diese zweifelhafte Berichterstattung wird noch übertroffen von dem Artikel „Prügelei nach Mitternacht“, der am 20.6. in der Onlineausgabe erschien. Der Artikel Michael Klarmanns macht auf mit der Formulierung:
„Am Ende dann doch: Polizeisprecher Karl Völker hatte Freitag gegen Mitternacht noch von einem ‚überwiegend störungsfreien’ Verlauf der Demonstration von Nazigegnern in Aachen gesprochen, doch seine Kollegen wurden Samstag gegen 2.40 Uhr zum Bushof gerufen“.
Dort sollen Neonazis attackiert worden sein. Was das allerdings mit der Demonstration zu tun hat, das erklärt uns der Autor nicht, jedenfalls nicht direkt. Dennoch weist er dieses spätabendliche Ereignis als Geschehnis aus, das den „Verlauf der Demonstration“ weniger „friedlich“ mache, als zuvor angenommen. Genau diese Konstruktion wird mit dem relativierenden Satzbau festgeschrieben. Dass es aber in der Nacht zu einer Auseinandersetzung gekommen sein soll, das macht allerdings die Demo nicht weniger friedlich. Aber anscheinend soll der Eindruck erweckt werden, sie sei es nicht gewesen. Und wenn die Ereignisse dies nicht hergeben, so wird dies durch Rhetorik vermittelt. Es fragt sich nur, warum – welches Interesse besteht, eine Demonstration, also die angegebenen 500 Menschen auf einer Demonstration kollektiv mit einer körperlichen Auseinandersetzung zu einem anderen Zeitpunkt an einem anderen Ort in Zusammenhang zu bringen.
Um diesen erstmal nicht gegebenen Zusammenhang herzustellen, vermittelt der Autor im Folgenden eine gewalttätige Stimmung auf der Demo. Und zu diesem Zweck wird selektiv zitiert. Eine der Auftaktreden wird heruntergekürzt auf den aus dem Kontext herausgebrochenen Slogan „ man müsse ‚zurückschlagen’“. Dass die Rednerin 20 Minuten lang redete, was sie dort sagte, davon finden wir in der Berichterstattung kein Wort. Auch das der Zeitzeuge Hein Kolberg zuvor sprach und sich als jemand, der den NS noch mitbekam, sich bei allen Teilnehmenden für ihr Engagement bedankte, auch davon kein Wort. Nein, denn es soll der Eindruck vermittelt werden, die Demo sei gewalttätig gewesen oder habe zumindest dies vorbereitet. Neben Suggestivformulierung finden sich ebenso Unwahrheiten. Eine Situation vor dem Hotel Hesse wird schicht umgedeutet. Es habe Rangeleien gegeben, da Linke die Polizei „überrennen“ wollten, um zu einem Neonazi zu kommen. Mit der Realität hat das freilich nichts zu tun. Die Demonstration stoppe vor dem Hotel, weil eine Zwischenkundgebung angemeldet war und durchgeführt wurde. Diese verzögerte sich, weil die Polizei in unmittelbarer Nähe Antifaschisten festhielt, die zur Demonstration wollten. Nachdem diese endlich zur Demo stießen, setze sich der Zug wieder in Bewegung. Es gab weder Rangeleien, noch wollte irgendwer irgendwen „überrennen“, noch wurden an dieser Stelle Schlagstöcke eingesetzt. Lediglich ein die DemonstrationsteilnehmerInnen fotografierender Neonazi hob kurzzeitig die Stimmung.
Im Boulevardstil geht es weiter: „Nächstes Gerangel Franzstraße“. Diese Situation war tatsächlich aber auch die Einzige, in der die Polizei Gewalt gegen die Demonstrationsspitze einsetzte. Nicht thematisiert wird in diesem Zusammenhang, was eigentlich das Streitbare bei der Frage nach sogenannter Vermummung bei antifaschistischen Demonstrationen ist. So ist es in einer Situation, wie sie gerade in Aachen besteht durchaus gefährlich für AntifaschistInnen, „Gesicht zu zeigen“, denn Neonazis greifen gezielt politische GegnerInnen an, deren Wohnhäuser oder aber auch sie selbst. In einer solchen Situation zu verlangen, dass Transparente die Erkennung der Gesichter zulassen, verkennt diese Situation und diese Gefahr.
Auch die Aachener Zeitung vermittelt ein verzerrtes Bild. Unter der Headline „Explosive Stimmung in der City“ wird bereits mit der Überschrift Gefahr suggeriert. Im ersten Satz wird nochmal gesteigert. Hier ist bereits von einer „äußerst explosive[n] Mischung“ die Rede. Ein bisschen hört sich das an nach Kriegsberichterstattung.
In der gesamten Aachener lokalen Print-Presse wird der Eindruck vermittelt, die Demonstration sei gefährlich gewesen, äußerst gefährlich. Mit der Beschreibung von schwarzgekleideten DemonstrantInnen die in einen Gegensatz zu „friedlichen“ DemonstrantInnen gesetzt werden, wird vermittelt, an dunkler Kleidung lasse sich der Grad der Aggression ableiten. Mit der inflationären Nutzung von Begrifflichkeiten wie „Gefahr“, „Rangelei“, „explosive Stimmung“, „Katastrophe“, „hitzig“, „überkochend“, „Unheil in der Luft“, „Eskalation“ und „aufgeladene Stimmung“ wird eine Situation suggestiv vermittelt, die reichlich wenig mit der vom 18.6.2010 zu tun hat. Wo waren, fragt man sich nach der Lektüre die massenweisen Verletzten, die ein solches Gewaltszenario nach sich ziehen muss? Wo waren die Effekte dieser herbeigeredeten Gewalt? Auf diese Frage finden wir zwangsläufig keine Antwort – denn es gab sie nicht. Weder die Gewalt noch Verletzte. Die einzigen Menschen, die verletzt wurden, wurden von der Polizei verletzt – durch einen höchst umstrittenen Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray. Die Aggression lag nicht auf Seiten der DemonstrantInnen. Dass ein Autor dann dazu übergeht, eine Auseinandersetzung, die nichts mit der Demonstration zu tun hatte, rhetorisch suggestiv der gesamten Demonstration anzulasten, markiert die Grenze zur tendenziösen Berichterstattung. Investigative Berichterstattung ist das nicht, dazu würde es gehören, bei „allen Seiten“ nachzufragen und die unterschiedlichen Deutungen in einem Bericht einzufangen. Genaugenommen ist das gar keine Berichterstattung. Der Artikel eignet sich als Kommentar. Er spiegelt das persönliche Empfinden des Autors wider. Polemisch würden wir sagen: Genre verfehlt.
Erstaunt stellten wir fest, dass die Berichterstattung der Polizei Aachen weitaus weniger tendenziös berichtet als die freie Presse. Hier ist nichts zu lesen, von einer Rangelei vor den Hotel Hesse, auch wird auf Stilmittel verzichtet, die Gefahr vermitteln. „Überwiegend störungsfrei“ ist hier der Tenor. Aber auch hier wird der Pfeffersprayeinsatz als polizeiliche Gegenwehr auf „eine[n] körperlichen Angriff von Teilnehmern der Versammlung gegen die eingesetzten Polizeibeamten“ gewertet. Von verletzten PolizistInnen oder Festnahmen wegen dieses Angriffs ist hier allerdings nichts zu lesen. Wahrscheinlich war auch der Einsatzleitung klar, dass sie mit einer solchen Interpretation vielleicht bei der Presse, nicht aber bei Gerichten durchkommen. Was der Polizeibericht unterschlägt ist die Tatsache, dass fünf junge AntifaschistInnen, die auf dem Weg zur Demonstration waren, in Brand von Neonazis abgefangen wurden, zusammengeschlagen wurden und einer der Antifaschisten den Tag im Krankenhaus verbrachte. Dies steht in direktem Zusammenhang mit der Demonstration, die Jugendlichen befanden sich auf dem Weg zu dieser und der „Vorfall“ liegt der Polizei vor. Warum also das Schweigen?
Insgesamt müssen wir feststellen, dass anscheinend nicht nur die Offiziellen der Stadt Aachen das wachsende Problem neonazistischer Organisierung verkennt, sondern auch die Aachener Lokalpresse, anschließend an behördliche Interpretationen, eher ein Bild aufbaut von einer Auseinandersetzung unter „Rivalisierenden“ und so neonazistische Gefahr entpolitisiert wird. Wir haben es nicht mit einer Auseinandersetzung ‚links gegen rechts’ zu tun, wir haben es mit einer der stärksten neonazistischen Organisationen in ganz NRW zu tun, die gezielt politisch Unliebsame attackiert und einzuschüchtern versucht. Und dazu gehören nicht ‚nur’ AntifaschistInnen, sonder auch Menschen mit Migrationshintergrund, JournalistInnen, PolitikerInnen und andere, die mit faschistischen Weltbildern nicht einverstanden sind oder herausfallen aus dem in angestrebten Volksgemeinschaften angestrebten Volkshomogen.